„Gott liebt die Völker“
Völker streben nach Geltung. Gott ist grösser, er sieht bei allen Völkern Wertvolles. Er erwartet von der Welt ein Konzert des Lobpreises und der Anbetung, sagt der Bundeshausbeter Jean-Claude Chabloz. Hier das Gespräch, das für das Politik-Dossier von wort+wärch geführt wurde, in ungekürzter Fassung.
wort+wärch: „Gott liebt die Völker“: Dies haben Sie in einer Ansprache betont. Was meinen Sie damit?
Jean-Claude Chabloz: Der Satz findet sich in 5. Mose 33,3, vor dem Segen des Mose für die Stämme Israels. In diesem Zusammenhang überrascht der Satz. Israel soll wissen, dass Gott es segnet, damit es die Völker segne. Gott hat nicht nur ein Volk im Blick, sondern alle.
Ich traf einen Evangelisten aus Hongkong. Er steht am Eingang zur Metro und spricht von Jesus Christus, während die Leute an ihm vorbeieilen. „Hören sie denn zu?“ frage ich ihn. „Ich gebe ihnen auf Zettelchen meine Adresse und sie schreiben mir, dass sie zwar nur einen Satz aufschnappten. Aber der sei stark. Und sie wollen ihn erläutert haben.“ – Die Arbeit dieses Mannes in der Menge macht mir Eindruck. Ja, Gott liebt die Völker – alle!
Was macht ein Volk aus?
Menschen leben miteinander in einem Land, haben ihre Sprache(n), eine gemeinsame Geschichte, Bräuche, ein eigenes Selbstverständnis. Ihre Identität ist nicht fix. Man stellt fest, dass sich die Mentalität wandelt, wenn der Anteil der Fremden 20 Prozent übersteigt.
Liebt Gott die Völker, die Menschen in ihrer Gesamtheit?
Die Bibel erzählt vom Turmbau in Babel. Stolze Menschen wollen sehr hoch hinaus. Die Völker entstehen durch die Sprachverwirrung – was zuerst negativ ist. Aber es kommt so zu einer Vielfalt von Kulturen und Gruppenidentitäten. Und Gottes Liebe ist so gross, dass er sich nicht bloss einem Volk zuwendet. Wenn er eines erwählt, denkt er zugleich an die andern. Die Bibel hat eine weite Vision der Menschheit.
Es gibt nicht viele Menschen, die die Völker so sehen, wie sie sind. Gott tut das. Es gibt Wahrheiten im Herzen des Menschen, die sich in allen Völkern finden, in verschiedener Form (Don Richardson). Ich denke, nicht nur Missionare, sondern Christen überhaupt sollten ihnen nachspüren – sonst fällt es schwer, Fremde zu lieben.
Welche Haltung sehen Sie bei Jesus und den Aposteln?
Jesus ist Jude. Doch er reist ins Ausland. Er verweist im Gespräch auf die Witwe, die Gastgeberin Elias, die keine Jüdin war (Lukas 4,26). Warum stösst er die Juden vor den Kopf? Nach der Auferstehung sendet er die Apostel zu allen Völkern (Matthäus 28,19).
Bei Paulus wird vollends deutlich, dass Gott die Nationen im Blick hat. Die nichtjüdischen Völker sollen ihn alle loben, etwas zu seinem Preis darbringen (Römer 15,11.16, schon 1,5). In Athen erwähnt Paulus den Altar für den unbekannten Gott (Apg. 17,23). Es gibt in allen Kulturen Wertvolles, bei dem wir anknüpfen können. Es mag verborgen und verschüttet sein. Man muss es suchen, die Leute kennen lernen und sie lieben ohne zu wissen, wer sie sind. Das ist nicht einfach. Wenn man es tut, entdeckt man stückweise Ausserordentliches.
Dann tritt auch die Eigenart, der Eigensinn der Völker zu Tage.
Ich versuche, Gottes Gedanken nachzugehen. Er liebt uns und bietet uns seine Liebe an, allen Völkern, ohne einen Unterschied zu machen. Er bietet an für alle Bereiche, das öffentliche Leben, die schönen Künste, die Musik …
Und die Schweizer haben davon besonders viel genossen?
Im Vergleich zu anderen Völkern haben wir eine Geschichte reich an Segen. Ganze Generationen lebten in Gottesfurcht und waren bestrebt, seinen Willen zu tun. Sie schlossen einen Bund miteinander im Angesicht Gottes – ein grosser Segen. Wir sind ein kleines Land, kulturell vielfältig und doch eins.
Jesus ist die Liebe Gottes in Person. Zugleich erfüllt er die Gerechtigkeit Gottes.
Gott will die Versöhnung. Christen sind dafür Botschafter (2. Korinther 5,18-20). Dieser Dienst betrifft alle Völker, alle Länder. Keiner kann sagen: Das geht mich nichts an. Den Dienst können Christen überall erbringen.
Man kommt den Menschen nahe, wenn man ihnen sagt: Gott will sich mit euch versöhnen. Andererseits sind Christen als von fern Gesandte auch Fremde. Sie bewegen sich durch die Kulturen, die Nationen. Sie sind im ersten Sinn des Wortes inter-national. Der Botschafter hat Vollmachten erhalten. Wozu? Um zu lieben und Versöhnung anzukündigen. Und mit guten Diensten beizutragen, dass sie sich ereignet. Der Dienst ist nicht einfach: Versöhnung wird verweigert. Dadurch, durch ihr Tun, ziehen sich Menschen endlich Gottes Gericht zu.
Sie haben die nationale Politik aus der Nähe verfolgt. Wie beten Sie nun für die Schweiz?
Ich bete nicht viel für die Schweizer Politik. Ich bete für die Politiker/innen. Weiter halte ich nicht viel vom Konzept einer christlichen Politik; aber ich traue Christinnen und Christen zu, Politik zu machen. Schade finde ich, dass die Sprachregionen Komplexe haben, welche sie hindern, ganz sie selbst zu sein. Die Schweiz ist ein kleines Land mit grosser Ausstrahlung etwa bei Friedensbemühungen. Denken Sie ans Rote Kreuz. Viele Verträge sind hier unterzeichnet worden. Gott hat das gewollt. Seien wir nicht stolz. Aber selbstbewusst dürfen wir als kleines Volk sein. Wir haben in Europa eine Verantwortung. Auf einem kleinen Gebiet haben wir als Föderalisten vielfältige Staaten geschaffen, die doch zusammengehören. Die Kantone sind winzig im Weltmassstab, doch ihre Eigenheiten sind unser Reichtum. Besucher staunen und fragen, wie das gelungen ist, welches Geheimnis dahintersteckt. Ich sage ihnen, dass die Liebe Gottes uns hilft, die Konföderation, den Bundesstaat zu leben.
Gott erwartet von der Welt ein Konzert des Lobpreises und der Anbetung. Mit allen Völkern und Stämmen (Offenbarung 7,9). Sind sie nicht vertreten, ist das Konzert nicht gut. Wunderbar: Die kleinsten Völker haben ihre Stimme im Konzert der Nationen zur Ehre Gottes.
Jean-Claude Chabloz, während vielen Jahren Leiter der Eglise apostolique in der Romandie, ist seit 1999 Beter im Bundeshaus.